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Lebensform und Möglichkeit — Zum Zusammenspiel von Roman und Essay in der Moderne 

Spätestens um 1800 gehen Roman und Essay eine Verbindung ein, die man als charakteristisch für die Moderne bezeichnen kann. Das Episch-Narrative wird dabei, kurz gesagt, zunehmend von einem reflexiven Element durchbrochen, das zunächst als Einführung einer kritischen Metaebene oder einer Beobachter- und Reflexionsposition verstanden werden kann. Dies kennzeichnet, um nur zwei markante Beispiele anzuführen, schon Goethes Wilhelm Meister und Schlegels Lucinde, und es tritt noch bestimmter hervor in Manns Zauberberg, Brochs Schlafwandler und Musils Mann ohne Eigenschaften. Eine ähnliche Bewegung lässt sich auch im Blick auf andere europäische Literaturen nachzeichnen. Oft wird dabei das essayistische Schreiben, das den Gang der Erzählung durchbricht, als allzu didaktisch und formstörend, gewissermaßen als Zerfall einer Integrität gelungener episch-narrativer Form empfunden — etwa in der Kritik von Henry James an George Eliots Middlemarch.

Ausgehend von Blumenbergs Frage nach der "Möglichkeit des Romans" und der Form, in der dieser "eine Welt zu realisieren" beansprucht, muss indes gefragt werden, welche spezifische Rolle das Essayistische im Roman spielt; wie es sich formal beschreiben lässt; inwiefern es formal und inhaltlich, mit der Narratio und gegen diese, die "Wirklichkeit des Möglichen" artikuliert; wie es mit der Narratio verzahnt ist; und wie sich im Verhältnis der Narratio zu essayistischen Elementen eine Problematisierung des Verhältnisses von Roman, Lebensformen und Lebensmöglichkeiten manifestiert, die für die Moderne charakteristisch ist.